Ein Schlafmittel brachte mich über die halbe Nacht hinüber. Noch vor dem Morgen kam eine Depesche des Kaisers, der sich/
in gütigster Teilnahme nach meinem Befinden erkundigen ließ.
 
Der 15. September verging mir in verdunkeltem Zimmer. Gegen Abend, als das Tageslicht /
schwächer wurde, konnte ich für ein halbes Stündchen aufstehen und etwas Bewegung machen. Die Wunden an meiner /
linken Hand waren belanglos und begannen schon zu heilen; auch das rechte Auge tat leidlich /
seinen Dienst. Nur dass die Dinge der Welt, nur mit einem Auge betrachtet, etwas anders aussehen, als man /
sie zu sehen gewohnt ist. Bei meinem kleinen Spaziergang trat ich immer neben den schmalen Weg /
hinaus [?], und beim Nachtmahl verlangte es einige Übung, die kleinen aufgeschnittenen Schinkenstückchen /
mit dem Löffel zu erwischen. Ja, nun ist es zu meinem Schaden wahr geworden, was mir ab und zu ein /
Kritiker vorgeworfen hat: dass ich Welt und Menschen etwas einseitig betrachte. Für mich selbst merke /
ich zwischen früher und jetzt keinen allzu wesentlichen Unterschied. Auch jetzt, mit meinem einen Auge – /
das andere ist schwarz verbunden und abgeschlossen von allem, was Licht heißt – sehe ich gütige Menschengesichter, /
sehe freundliche, hilfsbereite Hände. Vier Menschen sind in meinem Zimmer, außer mir die beiden Ärzte /
und der Wärter. Diese drei sind gute Menschen. Das steht für mich außer allem Zweifel. Von mir selbst /
weiß ich es nicht mehr mit voller Sicherheit. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich seit /
gestern die Russen hasse. Aber auf die gemeinen Hunde und Schurken der russischen Heeresleitung, /
welche die Einmischung solcher bestialischer Geschosse unter die Kriegsmunition veranlassten, /
habe ich eine Wut von jener Gattung, die nur der schwäbische Volksmund richtig zu bezeichnen /
vermag.
 
Aufenthalt im Lazarett. Das recht tiefste Erkennen der Volksseele. In 2 Tagen eine tiefere Ehrfurcht /
gewonnen als in 7 Kriegsmonaten. Gespräche der Soldaten während der Narkose.